Mein Leben hat sich für immer verändert, als ich einen alten Mann auf einer verlassenen Winterstraße aufgesammelt habe und ihm erlaubt habe, die Nacht zu bleiben.
Es war Heiligabend, und die Straße vor mir war ruhig und von Eis bedeckt wegen des Schnees. Die schneebedeckten Äste der Bäume auf beiden Seiten der Straße hingen dunkel über uns. Alles, woran ich denken konnte, war, wie schnell ich zu meinen beiden kleinen Kindern nach Hause kommen konnte. Sie waren bei meinen Eltern, während ich eine Geschäftsreise beendete. Es war mein erster ernsthafter Job, seit ihr Vater uns verlassen hatte. Darüber nachzudenken tat immer noch weh, aber er war an diesem Abend nicht das Wichtigste. Es waren die Kinder, ihre strahlenden Lächeln und die Wärme des Zuhauses – das war es, was wirklich zählte.
Ich sah ihn, als die Straße plötzlich abbog. Der alte Mann ging am Straßenrand im Schein meiner Scheinwerfer. Seine Schritte waren schwer, er war gebeugt, zog einen abgenutzten Koffer hinter sich her. Schneeflocken hafteten an seinem dünnen Mantel und wirbelten herum. Er erinnerte mich an meinen Großvater, der nicht mehr bei mir war, den ich aber nie vergessen werde.
Die Reifen quietschten auf dem vereisten Belag, als ich anhielt. Eine Zeit lang saß ich da, hielt das Steuer fest und zögerte. War das sicher?
Alle gruseligen Geschichten, die ich je gehört hatte, schossen mir durch den Kopf. Doch dann ließ ich das Fenster runter und rief ihm zu. Der Mann hielt an und drehte sich um. Seine Augen waren eingefallen, aber freundlich, und sein Gesicht war blass. Langsam und vorsichtig kam er zum Auto. Seine Stimme war heiser und kaum hörbar wegen des Windes:
— Miss, ich bin auf dem Weg nach Milltown. Meine Familie wartet dort auf mich.
— Milltown? — fragte ich, stirnrunzelnd. — Das ist mindestens einen Tag entfernt.
Er nickte.
— Ich verstehe. Aber ich muss dorthin. Heute ist Weihnachten.
Ich schaute auf die verlassene Straße und dachte nach.
— Sie werden hier im Frost erfrieren. Steigen Sie ein.
— Bist du sicher? — hörte ich Zweifel in seiner Stimme, sogar Misstrauen.
— Ja, steigen Sie ein. Es gibt hier nichts zu diskutieren.
Er hielt seinen Koffer fest, als wäre es das Wertvollste, was er noch besaß, und stieg vorsichtig ins Auto.
— Danke, — flüsterte er.
— Mein Name ist Maria, — sagte ich, während ich den Motor wieder anließ. — Und wie heißen Sie?
Der Mann schwieg eine Weile, starrte aus dem Fenster, wo der Schnee im Licht der Scheinwerfer wirbelte. Seine Hände waren vom Kälte rot, und der Mantel war zerrissen. Ich stellte die Heizung an.
— Milltown ist weit, — sagte ich. — Haben Sie dort wirklich Familie?
— Ja, — antwortete er leise. — Eine Tochter und ihre Kinder. Ich habe sie schon viele Jahre nicht mehr gesehen.
— Warum sind sie nicht hergekommen, um Sie abzuholen? — fragte ich, bevor ich mich zurückhielt.
Franks Lippen zitterten.
— Das Leben… es geht seinen Gang, — sagte er nach einer Pause.
Ich fühlte, dass ich ein sensibles Thema angesprochen hatte, und biss mir auf die Lippe.
— Milltown ist zu weit, um es heute noch zu erreichen, — änderte ich das Thema. — Bleiben Sie bei mir. Bei meinen Eltern. Meine Kinder werden Ihre Gesellschaft genießen, und es ist warm hier.
Frank lächelte schwach.
— Ich bin sehr dankbar, Maria. Es bedeutet mir viel.
Wir fuhren schweigend weiter, und das Auto wurde allmählich wärmer.
Als wir zu Hause ankamen, hatte der Schneefall zugenommen und bedeckte den Eingang mit einer dicken weißen Schicht. Die besorgten Gesichter meiner Eltern milderten sich, als sie uns die Tür öffneten.
Frank erstarrte am Eingang und hielt immer noch seinen Koffer.
— Das ist zu viel… — flüsterte er.
— Unsinn, — sagte meine Mutter und klopfte den Schnee von seinem Mantel. — Es ist Weihnachten. Niemand sollte draußen erfrieren.
— Wir haben ein Gästezimmer, — fügte mein Vater hinzu, wenn auch mit gedämpfter Stimme.
— Danke, — flüsterte Frank und nickte.
Am nächsten Morgen füllte der Duft von Zimtbrötchen und frisch gebrühtem Kaffee das Haus. Meine Kinder, Emma und Jake, rannten in ihren Schlafanzügen ins Wohnzimmer.
— Mama, war der Weihnachtsmann hier? — Jake schaute neugierig auf die Socken am Kamin.
Frank trat in den Raum, immer noch mit seinem Koffer, aber jetzt sah er erfrischt aus.
— Wer ist das? — flüsterte Emma.
— Das ist Frank, — sagte ich. — Er wird mit uns Weihnachten verbringen.
Frank lächelte warm:
— Frohe Weihnachten, Kinder.
Sie antworteten ebenfalls mit „Frohe Weihnachten“ und dann nahm ihre Neugierden über ihre Schüchternheit.
Mit der Zeit erzählte Frank uns Geschichten aus seiner Kindheit, und die Kinder hörten ihm mit großen Augen zu. Als sie ihm ihre Zeichnungen mit Tannenbäumen und Schneemännern schenkten, füllten sich seine Augen mit Tränen.
— Das ist so schön, — sagte er mit zitternder Stimme.
— Warum weinst du? — fragte Emma.
Frank sah mich an, atmete tief durch und wandte sich dann den Kindern zu.
— Weil… ich euch etwas erzählen muss. Ich war nicht ehrlich.
Ich spannte mich an, wusste nicht, was als nächstes kommen würde.
— Ich habe keine Familie in Milltown, — flüsterte er. — Sie gibt es nicht mehr. Ich bin aus dem Altersheim geflüchtet. Das Personal hat uns schlecht behandelt. Ich hatte Angst, euch die Wahrheit zu sagen. Angst, dass ihr die Polizei ruft und mich zurückschickt.
In dem Raum herrschte Stille.
— Frank, — sagte ich, — du musst nicht zurück. Wir finden eine Lösung.
Frank und ich reichten gemeinsam eine Beschwerde ein. Einige Wochen später wurde das Altersheim überprüft, und es wurden schwerwiegende Missstände aufgedeckt. Einige Mitarbeiter wurden entlassen und die Lebensbedingungen verbessert.
Als wir diese Nachricht erhielten, sah Frank erleichtert aus.
— Du hast es getan, Frank, — sagte ich. — Du hast vielen Menschen geholfen.
Seine Augen füllten sich mit Tränen.
— Ohne dich hätte ich es nicht geschafft, Maria. Aber… ich glaube, ich werde nie wieder dorthin zurückkehren können.
Ich lächelte.
— Und du musst es auch nicht.
Frank wurde Teil unserer Familie. Für meine Kinder war er der Großvater, den sie nie gekannt hatten. Eines Abends holte er aus seinem Koffer ein Bild, das seiner verstorbenen Frau gehört hatte.
— Das ist ein Werk eines bekannten Künstlers, es ist sehr wertvoll, — sagte er.
— Frank, ich kann das nicht… — begann ich.
— Doch, kannst du, — unterbrach er. — Ihr habt mir eine Familie gegeben. Lass dieses Bild deinen Kindern helfen.
Tränen stiegen mir in die Augen.
— Danke, Frank. Wir werden diese Erinnerung bewahren.
Und wirklich, das Bild veränderte unser Leben, aber Frank gab uns etwas Größeres — Liebe und Fürsorge, die man mit Geld nicht kaufen kann.