**Jeden Tag im Heim wartete der sechsjährige Mike, der nicht wusste, dass seine Eltern gestorben waren, darauf, dass sie zurückkamen. Eines Tages bemerkte er ein armes Teenager-Mädchen, das draußen am Zaun stand und ihn schweigend beobachtete. Er wusste es noch nicht, aber sie beobachtete ihn nicht nur – sie WARTETE auf ihn.**
Mike war erst vier Jahre alt, als sein Leben in einer Weise zerbrach, die kein Kind jemals erleben sollte. An diesem Tag hatte er beim Nachbarn gespielt, mit Bauklötzen gebaut und Erdnussbutterbrote gegessen – völlig ahnungslos, dass es der letzte normale Tag seines Lebens sein würde.
Als der Unfall passierte, war er nicht dort, um das Quietschen der Reifen oder das Krachen von Metall zu hören. Er sah nicht die rot-blauen Lichter, die die dunkle Straße erhellten. Er spürte nicht, wie die Welt unter ihm zerbrach, als seine Eltern für tot erklärt wurden.
Alles, was er wusste, war, dass ihn später in dieser Nacht die Nachbarin – eine freundliche, aber sichtlich erschütterte Frau – an die Hand nahm und sagte: „Du wirst heute Nacht bei mir bleiben, okay, Schatz?“
Er nickte und klammerte sich an seinen Stoffelefanten, Jumbo. „Wo sind Mama und Papa?“
„Sie kommen bald zurück“, flüsterte sie mit zitternder Stimme und einem stillen, unausgesprochenen Bedauern.
„Aber ich will sie jetzt“, sagte Mike mit bebender Unterlippe. „Sie bringen mich immer ins Bett. Papa macht immer die lustigen Stimmen bei der Gutenachtgeschichte.“
Die Nachbarin zog ihn an sich, Tränen drohten ihr zu entgleiten. „Ich weiß, Schatz. Ich weiß.“
„Kannst du sie anrufen?“ fragte Mike und klammerte sich fester an Jumbo.
Die Nachbarin schluckte schwer. „Nicht heute Nacht, Liebling. Wie wäre es, wenn ich dir eine Geschichte vorlese?“
„Nein. Ich will, dass Mama und Papa mich abholen“, schluchzte Mike, seine erwartungsvollen Augen auf das Gartentor gerichtet, als könnte er sie herbeiwünschen.
Aber sie kamen nicht zurück. Nicht in dieser Nacht, nicht am nächsten Tag… niemals.
Mike erinnerte sich kaum an die Tage, die folgten. Nur dass das Haus der Nachbarin sich kalt und fremd anfühlte. Fremde Menschen gingen ein und aus, sprachen mit gedämpften Stimmen und wichen seinen großen, fragenden Augen aus.
Und dann kam eines Tages eine Frau mit weichen braunen Locken und einem freundlichen Lächeln. Ihr Name war Brenda, und sie war es, die ihn ins Heim brachte.
Die Zeit verstrich wie Blätter im Wind, doch Mikes Hoffnung, seine Eltern wiederzusehen, schwand nie.
**„Wird meine Mama und mein Papa wirklich kommen, um mich zu holen?“**
Es war die gleiche Frage, die er Brenda jeden Tag in den letzten zwei Jahren gestellt hatte.
Seine großen blauen Augen sahen sie voller Hoffnung an, und es schnürte ihr die Brust zusammen. Sie ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein, und strich ihm eine goldbraune Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich glaube wirklich, dass sie kommen werden“, sagte sie leise, auch wenn die Wahrheit ihr die Kehle zuschnürte.
Mikes Gesicht strahlte. „Ich glaube das auch!“ rief er und rannte los, um mit den anderen Kindern Ball zu spielen.
Doch plötzlich blieb er stehen und lief zurück zu ihr. „Aber was, wenn sie kommen, während ich spiele? Was, wenn sie mich nicht finden?“
Brendas Herz brach. „Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Ich werde dafür sorgen, dass sie dich finden.“
„Versprochen?“ Seine kleine Hand suchte nach ihrer.
„Ich verspreche es“, flüsterte sie und drückte seine Hand sanft. „Jetzt geh spielen.“
Brenda blieb einen Moment stehen und kämpfte mit den Tränen. Sie hasste diesen Teil ihres Jobs. Diese Kinder an Hoffnungen festhalten zu sehen, die sich nie erfüllen würden – es brach sie jedes Mal aufs Neue.
Aber was hätte sie tun sollen? Ihm die Wahrheit sagen, dass seine Eltern niemals zurückkommen würden? Nein. Er war noch zu jung.
Mike gewöhnte sich schnell ans Leben im Heim. Er lachte, spielte und fand schnell Freunde. Aber nachts, wenn die anderen Kinder schliefen, saß er am Fenster und drückte sein Gesicht gegen das Glas.
„Mama, Papa“, flüsterte er. „Wann holt ihr mich nach Hause? Ich vermisse euch.“
Eines Nachts wurden seine Flüstertöne zu leisen Schluchzern. „Ich werde ganz brav sein, versprochen. Ich werde keine Spielsachen oder Süßigkeiten wollen. Bitte kommt zurück.“
Brenda legte ihn sanft ins Bett zurück und strich ihm durchs Haar, bis er einschlief – während sie sich wünschte, ihm den Trost geben zu können, den er so sehr brauchte.
**„Miss Brenda?“ murmelte er schläfrig.**
„Ja, Schatz?“
„Glaubst du, sie haben mich vergessen?“
Ihre Hand erstarrte in seiner Haarsträhne. „Oh, Mike… Niemand könnte dich jemals vergessen.“
„Aber warum sind sie dann nicht gekommen?“ Seine Stimme war so klein und zerbrechlich.
Brenda zog ihn in ihre Arme und wiegte ihn sanft. „Manchmal geschehen Dinge aus Gründen, die wir nicht verstehen. Aber das heißt nicht, dass du nicht geliebt wirst.“
Als Mike sechs wurde, wurde er zu einem Lichtblick im Heim. Er brachte jeden zum Lächeln, vom Personal bis zu den anderen Kindern. Aber niemand übersah, wie sein Lächeln erlosch, wenn ältere Kinder adoptiert wurden.
Eines warmen Frühlingstages bemerkte Mike sie zum ersten Mal.
Sie stand draußen am Zaun.
Ein Teenager-Mädchen, etwa 16 Jahre alt, mit zerrissenen Kleidern und unordentlichem Haar. Ihre dunklen Augen waren auf ihn gerichtet – ruhig, intensiv.
**Sie sah ihn nicht mit Mitleid an.**
Sie sah ihn an, als würde sie ihn kennen.
Mike konnte den Blick nicht abwenden.
Und sie kam immer wieder.
Jeden Tag.
Immer an derselben Stelle, immer schweigend.
Eines Tages fragte ihn ein anderes Kind: „Mike, die da beobachtet dich immer. Kennst du sie?“
Ein seltsames Gefühl überkam ihn. „Nein“, sagte er. Aber sicher war er sich nicht.
Jahre später, als er zehn war, kehrte Mike mit den Smiths – seinen Pflegeeltern – ins Heim zurück. Als er dort stand, überkam ihn eine Welle der Erinnerungen.
„Mike“, sagte Brenda sanft. „Es ist jemand hier, der dich sehen will.“
Die Tür öffnete sich.
Und da stand sie.
Sie war älter, ihre Kleidung sauber, ihr Blick unverändert.
„Wer bist du?“ flüsterte Mike.
Das Mädchen trat vor, Hände nervös verschränkt.
„Mein Name ist Angela“, sagte sie leise. „Ich… ich bin deine Schwester.“
Mikes Welt geriet ins Wanken.
Angela erzählte ihm die Wahrheit. Über ihren gemeinsamen Vater. Über all die Jahre, in denen sie ihn heimlich beobachtet hatte.
„Ich wollte dich holen“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. „Aber ich hatte nichts. Jetzt bin ich bereit.“
Mike spürte, wie seine Beine zitterten. „Du… du willst mich?“
Angela nickte, Tränen in den Augen. „Mehr als alles andere auf der Welt.“
Und dann fiel Mike ihr in die Arme.
**Er war nicht allein gewesen. Nie.**