„Ein 93-jähriger Mann lädt seine Familie zu seiner Geburtstagsfeier ein, aber der einzige Gast, der erscheint, ist ein Fremder.“

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Arnolds 93. Geburtstagswunsch kam von Herzen: Er sehnte sich danach, noch einmal das Lachen seiner Kinder durch sein Haus klingen zu hören. Der Tisch war gedeckt, der Truthahn geröstet und die Kerzen angezündet, während er auf sie wartete. Stunden verstrichen in schmerzlicher Stille, bis es endlich an der Tür klopfte. Doch es war nicht der Mensch, auf den er so lange gewartet hatte.

Das Cottage am Ende der Maple Street hatte schon bessere Tage gesehen – ebenso wie sein alleiniger Bewohner. Arnold saß in seinem abgenutzten Lehnstuhl, dessen Leder durch jahrelangen Gebrauch rissig geworden war, während seine getigerte Katze Joe leise in seinem Schoß schnurrte. Mit 92 waren seine Finger nicht mehr so behände wie früher, doch sie fanden immer noch ihren Weg durch Joes orangefarbenes Fell und suchten Trost in der vertrauten Stille.

Das Nachmittagslicht drang durch die staubigen Fenster und warf lange Schatten auf Fotografien, die Fragmente einer glücklicheren Zeit enthielten.

„Weißt du, was heute ist, Joe?“ Arnold fragte mit zitternder Stimme, während er nach einem verstaubten Fotoalbum griff, seine Hände bebten nicht nur vor Alter. „Es ist Little Tommys Geburtstag. Er wäre… mal sehen… jetzt 42.“

Er blätterte durch Seiten voller Erinnerungen, jede einzelne wie ein Messerstich ins Herz. „Schau ihn dir hier an, wie ihm die vorderen Zähne fehlen. Mariam hat ihm diesen Superheldenkuchen gemacht, den er sich so sehr gewünscht hatte. Ich erinnere mich noch, wie seine Augen geleuchtet haben!“ Seine Stimme stockte.

„Er hat sie an diesem Tag so fest umarmt, dass überall Zuckerguss auf ihrem hübschen Kleid landete. Das machte ihr überhaupt nichts aus. Sie kümmerte sich nie darum, wenn es darum ging, unsere Kinder glücklich zu machen.“

Fünf verstaubte Fotos schmückten den Kaminsims – die lächelnden Gesichter seiner Kinder, in der Zeit eingefroren. Da war Bobby mit seinem zackigen Grinsen und den aufgeschürften Knien von unzähligen Abenteuern. Kleine Jenny stand da und hielt ihre Lieblingspuppe fest, die sie „Bella“ getauft hatte.

Michael, stolz seinen ersten Pokal in den Händen haltend, während in der Kamera hinter ihm Arnolds Augen vor Stolz funkelten. Sarah in ihrem Absolventenkleid, Tränen der Freude vermischt mit dem Frühlingsregen. Und Tommy an seinem Hochzeitstag, dem Bildnis seines Vaters so ähnlich, dass es Arnolds Herz schmerzhaft zusammenziehen ließ.

„Das Haus erinnert sich an sie alle, Joe“, flüsterte Arnold, während er seine wettergegerbte Hand an der Wand entlangstrich, an der immer noch mit Bleistift die Größen seiner Kinder vermerkt waren.

Seine Finger verweilten auf jeder Linie, jede trug eine schmerzlich kostbare Erinnerung. „Der da? Das ist von Bobbys Indoor-Baseballtraining. Mariam war so wütend“, lachte er heiser und wischte sich die Tränen ab.

„Aber sie konnte nicht böse bleiben, wenn er ihr diese treuen Hundeaugen schenkte. ‚Mama‘, sagte er, ‚ich habe geübt, damit ich so werde wie Papa.‘ Und sie schmolz dahin.“

Dann schlurfte er in die Küche, wo Mariams Schürze immer noch an ihrem Haken hing – verblasst, aber sauber.

„Erinnerst du dich an die Weihnachtsmorgen, Liebes?“ sprach er in die leere Luft. „Fünf Paar Füße donnerten die Treppen hinunter und du tatst so, als hättest du nichts von den heimlichen Blicken auf die Geschenke mitbekommen, die wochenlang stattfanden.“

An einem Dienstagnachmittag schlenderte Arnold dann zur Veranda. Normalerweise bedeuteten diese Nachmittage, dass er auf der Schaukel saß und den spielenden Kindern im Viertel zusah. Ihr Lachen erinnerte Arnold an vergangene Tage, als sein eigener Hof noch von Leben erfüllt war. Heute jedoch durchbrachen die aufgeregten Rufe seines Nachbarn Ben diese Routine.

„Arnie! Arnie!“ rief Ben fast hüpfend über den Rasen, sein Gesicht strahlte wie ein Weihnachtsbaum. „Du wirst es nicht glauben! Beide meiner Kinder kommen an Weihnachten nach Hause!“

Arnold zwang seine Lippen zu einem, wie er hoffte, Lächeln, obwohl sein Herz ein Stück mehr zerbrach. „Das ist wunderbar, Ben.“

„Sarah bringt die Zwillinge. Die laufen jetzt schon! Und Michael – der fliegt extra aus Seattle mit seiner neuen Frau!“ Bens Freude war ansteckend für jeden, außer Arnold. „Martha plant schon das Menü. Truthahn, Schinken, ihr berühmter Apfelkuchen –“

„Klingt perfekt“, brachte Arnold mit rauer Stimme hervor, seine Kehle eng. „So, wie es Mariam früher gemacht hat. Sie hat tagelang gebacken. Das ganze Haus roch dann nach Zimt und Liebe.“

An diesem Abend saß er an seinem Küchentisch, das alte Wählscheibentelefon vor ihm wie ein zu erklimmender Berg. Sein wöchentliches Ritual schien jeden Dienstag schwerer zu werden. Zuerst wählte er Jennys Nummer.

„Hi, Dad. Was gibt’s?“ Ihre Stimme klang fern und abgelenkt. Das kleine Mädchen, das sich einst nicht von seinem Hals trennen wollte, schenkte ihm nun nicht einmal fünf Minuten ihrer Zeit.

„Jenny, mein Schatz, ich dachte an die Zeit, als du an Halloween als Prinzessin verkleidet warst. Du hast mich zum Drachen gemacht, erinnerst du dich? Du warst so entschlossen, das Königreich zu retten. Du sagtest, eine Prinzessin braucht keinen Prinzen, wenn sie ihren Daddy hat –“

„Hör mal, Dad, ich bin mitten in einem wichtigen Meeting. Ich habe keine Zeit für diese alten Geschichten. Kann ich dich zurückrufen?“

Das Wählgeräusch summte in seinen Ohren, bevor er weitersprechen konnte. Eins erledigt, vier blieben aus. Die nächsten drei Anrufe gingen direkt zur Mailbox. Tommy, der Jüngste, hob wenigstens ab.

„Dad, hey, ich bin grad etwas beschäftigt. Die Kinder drehen heute total durch und Lisa hat dieses Arbeitsmeeting. Kann ich –“

„Ich vermisse dich, Sohn.“ Arnolds Stimme brach, jahrelange Einsamkeit sammelte sich in diesen vier Worten. „Ich vermisse es, dein Lachen im Haus zu hören. Erinnerst du dich, wie du dich unter meinem Schreibtisch versteckt hast, wenn du vor Gewittern Angst hattest? Du sagtest: ‚Daddy, mach, dass der Himmel aufhört, wütend zu sein.‘ Und ich erzählte dir Geschichten, bis du eingeschlafen warst –“

Eine Pause, so kurz, dass es fast Einbildung gewesen sein könnte. „Das ist toll, Dad. Hör zu, ich muss los! Können wir später reden, ja?“

Tommy legte auf, und Arnold hielt das stille Telefon lange Zeit in der Hand. Sein Spiegelbild im Fenster zeigte einen alten Mann, den er kaum wiedererkannte.

„Früher stritten sie sich darum, wer als Erster mit mir sprechen durfte“, sagte er zu Joe, der in seinen Schoß gesprungen war. „Jetzt streiten sie darum, wer überhaupt mit mir sprechen muss. Wann bin ich zu einer Last geworden, Joe? Wann wurde ihr Daddy nur noch eine Aufgabe auf ihrer To-Do-Liste?“

Zwei Wochen vor Weihnachten beobachtete Arnold, wie Bens Familie nebenan eintraf.

Autos füllten die Auffahrt und Kinder stürmten in den Garten, ihr Lachen trug sich über den Winterwind. Etwas regte sich in seiner Brust. Nicht ganz Hoffnung, aber fast.

Mit zitternden Händen zog er seinen alten Schreibtisch hervor – den, den Mariam ihm an ihrem zehnten Jahrestag geschenkt hatte. „Hilf mir, die richtigen Worte zu finden, Liebes“, flüsterte er zu ihrem Foto, ihre Lächeln durch das Glas berührend.

„Hilf mir, unsere Kinder nach Hause zu holen. Erinnerst du dich, wie stolz wir waren? Fünf wunderschöne Seelen, die wir in diese Welt brachten. Wo haben wir sie unterwegs verloren?“

Fünf Blätter cremefarbenes Briefpapier, fünf Kuverts und fünf Chancen, seine Familie zurückzuholen, lagen auf dem Schreibtisch. Jedes Blatt schien tausend Pfund Hoffnung zu wiegen.

„Meine Lieben“, begann Arnold, und schrieb denselben Brief fünf Mal mit kleinen Variationen, während seine Handschrift zitterte.

„Die Zeit vergeht seltsam, wenn man mein Alter erreicht. Die Tage wirken endlos und zugleich viel zu kurz. Dieses Weihnachten fällt mit meinem 93. Geburtstag zusammen, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als euer Gesicht zu sehen, eure Stimme nicht über eine Telefonleitung, sondern direkt an meinem Küchentisch zu hören. Euch nah zu halten und euch all die Geschichten zu erzählen, die ich aufgespart habe, all die Erinnerungen, die mich an stillen Nächten begleiten.

Ich werde nicht jünger, meine Lieblinge. Jede Geburtstagskerze wird schwerer auszublasen, und manchmal frage ich mich, wie viele Gelegenheiten mir noch bleiben, euch zu sagen, wie stolz ich auf euch bin, wie sehr ich euch liebe, wie mein Herz noch immer aufblüht, wenn ich daran denke, wie ihr mich zum ersten Mal ‚Daddy‘ genannt habt.

Kommt bitte nach Hause. Nur noch einmal. Lasst mich euer Lächeln nicht nur auf einem Foto sehen, sondern an meinem Tisch. Lasst mich euch nah sein und für einen kurzen Moment so tun, als wäre die Zeit nicht so schnell vergangen. Lasst mich wieder euer Daddy sein – auch wenn es nur für einen Tag ist…“

Am nächsten Morgen zog sich Arnold gegen den beißenden Dezemberwind an, fünf versiegelte Kuverts drückte er wie kostbare Schätze an seine Brust. Jeder Schritt zur Post schien eine Meile zu sein, sein Gehstock tippte einsam auf dem gefrorenen Bürgersteig.

„Speziallieferung, Arnie?“ fragte Paula, die Postangestellte, die ihn seit dreißig Jahren kannte. Sie tat so, als bemerkte sie nicht, wie seine Hände zitterten, als er ihr die Briefe übergab.

„Briefe an meine Kinder, Paula. Ich will, dass sie zu Weihnachten nach Hause kommen.“ Seine Stimme trug eine Hoffnung in sich, die Paulas Augen feucht werden ließ. Über die Jahre hatte sie ihn unzählige Male beim Verschicken seiner Briefe beobachtet und dabei gesehen, wie seine Schultern mit jeder vergehenden Feiertagssaison mehr sanken.

„Ich bin sicher, dass sie diesmal kommen“, log sie freundlich und stempelte jeden Umschlag mit besonderer Sorgfalt. Ihr Herz brach für den alten Mann, der nicht aufhören wollte zu glauben.

Arnold nickte, während er so tat, als nehme er das Mitleid in ihrer Stimme nicht wahr. „Das werden sie. Sie müssen es. Es ist diesmal anders. Ich fühle es in meinen Knochen.“

Danach ging er zur Kirche, jeder Schritt auf dem vereisten Bürgersteig bedächtig. Pfarrer Michael fand ihn in der hintersten Bankreihe, die Hände zum Gebet gefaltet.

„Betest du auf ein Weihnachtswunder, Arnie?“

„Ich bete, dass ich noch eines erleben darf, Mike.“ Arnolds Stimme zitterte. „Ich sage mir immer wieder, dass noch Zeit ist, aber meine Knochen wissen es besser. Vielleicht ist dies meine letzte Chance, alle meine Kinder bei mir zu haben. Um ihnen zu sagen… um es ihnen zu zeigen…“ Er konnte nicht vollenden, doch Pfarrer Michael verstand.

Zurück in seinem kleinen Cottage wurde das Schmücken zu einem Ereignis im Viertel. Ben kam mit Kisten voller Lichter, während Mrs. Theo von ihrem Rollator aus die Operationen dirigierte und ihren Gehstock wie einen Taktstock schwang.

„Der Stern muss höher, Ben!“ rief sie. „Arnolds Enkel müssen ihn von der Straße aus funkeln sehen! Sie müssen wissen, dass das Haus ihres Großvaters noch strahlt!“

Arnold stand im Türrahmen, überwältigt von der Güte der Fremden, die zu seiner Familie geworden waren. „Ihr müsst das alles nicht machen.“

Martha von nebenan tauchte mit frischen Keksen auf. „Sei still, Arnie. Wann bist du zuletzt auf eine Leiter gestiegen? Außerdem machen das die Nachbarn so. Und das ist es, was Familie tut.“

Während sie arbeiteten, zog sich Arnold in die Küche zurück und fuhr mit den Fingern über Mariams altes Kochbuch. „Du hättest sie sehen sollen, Liebes“, flüsterte er in den leeren Raum. „Alle, die helfen – so wie du es getan hättest.“

Seine Finger zitterten über ein Rezept für Schokoladenkekse, das von Jahrzehnten alter Teigspuren befleckt war. „Erinnerst du dich, wie die Kinder heimlich den Teig naschten? Jenny mit Schokolade im Gesicht, die schwor, sie hätte nichts davon angerührt? ‚Daddy‘, sagte sie, ‚der Cookie Monster muss es gewesen sein!‘ Und du hast mir dabei zwinkernd zugelacht!“

Und so dämmerte am Weihnachtsmorgen ein kalter, klarer Tag. Mrs. Theos hausgemachter Erdbeerkuchen lag unberührt auf seiner Küchentheke, die Aufschrift „Happy 93rd Birthday“ in wackligen Zuckergussbuchstaben geschrieben.

Das Warten begann.

Jedes Geräusch eines Autos ließ Arnolds Herz aufspringen, und jede vergehende Stunde dämpfte die Hoffnung in seinen Augen. Am Abend gehörten die einzigen Schritte auf seiner Veranda denen der Nachbarn, die sich verabschiedeten – ihr Mitgefühl war schwerer zu ertragen als die Einsamkeit.

„Vielleicht haben sie sich verspätet“, flüsterte Martha zu Ben, als sie gingen, nicht leise genug.

„Das Wetter ist seit fünf Jahren schlecht“, murmelte Arnold zu sich selbst, nachdem sie gegangen waren, und starrte auf die fünf leeren Stühle um seinen Esstisch.

Der Truthahn, auf dessen Zubereitung er bestanden hatte, lag unberührt – ein Festmahl für Geister und verblassende Träume. Seine Hände zitterten, als er den Lichtschalter betätigte, wobei Alter und Herzschmerz ununterscheidbar in diesem Zittern waren.

Er drückte seine Stirn gegen die kalte Fensterscheibe und sah zu, wie die letzten Lichter des Viertels erloschen. „Ich schätze, das ist es dann, Mariam.“ Eine Träne lief seine wettergegerbte Wange hinab. „Unsere Kinder kommen nicht nach Hause.“

Plötzlich ertönte ein lautes Klopfen, gerade als er dabei war, das Licht auf der Veranda auszuschalten – es riss ihn aus seinem Herzschmerz heraus.

Durch das beschlagene Glas konnte er eine Silhouette erkennen – zu groß, um einer seiner Kinder zu sein, zu jung, um einer seiner Nachbarn zu sein. Seine Hoffnung zerbrach ein wenig mehr, als er die Tür öffnete und einen jungen Mann vorfand, der mit einer Kamera in der Hand dastand und ein Stativ über der Schulter trug.

„Hi, ich bin Brady.“ Das Lächeln des Fremden war warm und aufrichtig und erinnerte Arnold schmerzhaft an Bobby. „Ich bin neu in der Nachbarschaft und drehe gerade einen Dokumentarfilm über Weihnachtsfeiern hier. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dürfte ich –“

„Hier gibt es nichts zu filmen“, schnaufte Arnold, Bitterkeit in jeder Silbe. „Nur ein alter Mann und seine Katze, die auf Geister warten, die nie heimkehren. Keine Feier, die es wert wäre, festgehalten zu werden. VERSCHWINDE!“

Seine Stimme brach, als er sich anschickte, die Tür zu schließen – unfähig, noch einen weiteren Zeugen seiner Einsamkeit zu ertragen.

„Sir, warten Sie“, blieb Brady mit dem Fuß in der Tür stehen. „Ich bin nicht hier, um meine Tränengeschichte zu erzählen. Aber ich habe meine Eltern vor zwei Jahren bei einem Autounfall verloren. Ich weiß, wie sich ein leeres Haus in den Feiertagen anfühlt. Wie die Stille so laut werden kann, dass sie schmerzt. Wie jedes Weihnachtslied im Radio sich anfühlt wie Salz in einer offenen Wunde. Wie man den Tisch deckt für Menschen, die niemals kommen –“

Arnolds Hand verharrte an der Tür, sein Zorn schmolz dahin, als er in Bradys Augen nicht Mitleid, sondern Verständnis sah – jenes Verständnis, das nur kommt, wenn man denselben dunklen Weg gegangen ist.

„Würden Sie etwas dagegen haben …“ Brady zögerte, seine Verletzlichkeit zeigte sich in seinem sanften Lächeln, „… wenn wir gemeinsam feiern? Niemand sollte an Weihnachten allein sein. Und ich könnte auch etwas Gesellschaft gebrauchen. Manchmal ist es nicht so schwer, allein zu sein – es ist das Erinnern daran, wie es war, nicht allein zu sein.“

Arnold stand da, zerrissen zwischen Jahrzehnten des Schmerzes und der unerwarteten Wärme echter Verbundenheit. Die Worte des Fremden hatten es geschafft, seine Verteidigung zu durchdringen und sprachen zu dem Teil in ihm, der noch zu hoffen wusste.

„Ich habe Kuchen“, sagte Arnold schließlich, seine Stimme heiser vor ungesagten Tränen. „Heute ist auch mein Geburtstag. Dieser alte Grinch wird gerade 93! Aber dieser Kuchen ist ein wenig zu üppig für nur eine Katze und mich. Komm rein.“

Bradys Augen leuchteten vor Freude. „Gib mir 20 Minuten“, sagte er, während er sich bereits zurückzog. „Aber puste die Kerzen noch nicht aus.“

Weniger als 20 Minuten später kehrte Brady zurück – allerdings nicht allein.

Irgendwie hatte er die halbe Nachbarschaft mobilisiert. Mrs. Theo kam humpelnd herein mit ihrem berühmten Eierpunsch, während Ben und Martha Arme voller hastig verpackter Geschenke mitbrachten.

Das Haus, das von Stille erfüllt gewesen war, füllte sich plötzlich mit Wärme und Lachen.

„Wünsch dir was, Arnold“, drängte Brady, als die Kerzen wie winzige Sterne in einem Meer von Gesichtern flackerten, die zu Familie geworden waren.

Arnold schloss die Augen, sein Herz füllte sich mit einem Gefühl, das er kaum benennen konnte. Zum ersten Mal seit Jahren wünschte er sich nicht mehr die Rückkehr seiner Kinder. Stattdessen wünschte er sich die Kraft, loszulassen. Zu vergeben. Frieden zu finden in der Familie, die er gefunden hatte, anstatt in der, die er verloren hatte.

Als die Tage zu Wochen und Wochen zu Monaten wurden, wurde Brady so beständig wie der Sonnenaufgang – er kam mit Lebensmitteln, blieb auf einen Kaffee, teilte Geschichten und stille Momente gleichermaßen.

In ihm fand Arnold nicht einen Ersatz für seine Kinder, sondern eine andere Art von Segen und den Beweis, dass Liebe manchmal in unerwarteten Gestalten kommt.

„Du erinnerst mich an Tommy in deinem Alter“, sagte Arnold eines Morgens, während er zusah, wie Brady eine lose Diele befestigte. „Gleiches gutes Herz.“

„Nur anders“, lächelte Brady, seine Augen mild vor Verständnis. „Ich bin einfach da.“

An dem Morgen, als Brady ihn fand, wirkte Arnold friedlich in seinem Sessel, als wäre er einfach eingeschlafen. Joe saß an seiner gewohnten Stelle und wachte ein letztes Mal über seinen Freund.

Das Morgenlicht fing die tanzenden Staubkörner ein, als ob Mariams Geist gekommen wäre, um ihn nach Hause zu führen – endlich bereit, sich mit der Liebe seines Lebens wieder zu vereinen, nachdem er Frieden in seinem irdischen Abschied gefunden hatte.

Die Beerdigung zog mehr Menschen an als je Arnolds Geburtstage. Brady sah, wie Nachbarn sich in gedämpften Kreisen versammelten, um Geschichten über den alten Mann zu teilen – über seine Güte, seinen Witz und seine Fähigkeit, selbst das Alltägliche magisch wirken zu lassen.

Man sprach von Sommerabenden auf seiner Veranda, von Weisheiten, die er bei zu starkem Kaffee verteilte, und von einem Leben, das leise, aber vollständig gelebt wurde.

Als Brady aufstand, um seine Trauerrede zu halten, strich er mit den Fingern über den Rand des Flugtickets in seiner Tasche – jenes Ticket, das er gekauft hatte, um Arnold an seinem kommenden 94. Geburtstag zu überraschen. Eine Reise nach Paris im Frühling, genau wie Arnold es sich immer gewünscht hatte. Es wäre perfekt gewesen.

Nun, mit zitternden Händen, steckte er das Ticket unter die weiße Satinfütterung des Sarges – ein unerfülltes Versprechen.

Arnolds Kinder kamen spät, gehüllt in Schwarz, in den Armen frischer Blumen, die die verkümmerten Beziehungen, die sie symbolisierten, geradezu verspotteten. Sie drängten sich zusammen und erzählten Geschichten über einen Vater, den sie im Leben vergessen hatten zu lieben – ihre Tränen fielen wie Regen nach einer Dürre, zu spät, um das bereits Verwelkte zu nähren.

Als die Menge sich auflöste, zog Brady einen abgenutzten Umschlag aus seiner Jackentasche. Darin befand sich der letzte Brief, den Arnold geschrieben, aber nie abgeschickt hatte – datiert auf nur drei Tage vor seinem Tod:

„Liebe Kinder,

Wenn ihr diesen Brief lest, werde ich nicht mehr sein. Brady hat versprochen, diese Briefe zu verschicken, nachdem… nun ja, nachdem ich gegangen bin. Er ist ein guter Junge – der Sohn, den ich fand, als ich ihn am meisten brauchte. Ich möchte, dass ihr wisst, dass ich euch schon vor langer Zeit vergeben habe. Das Leben wird hektisch. Das verstehe ich jetzt. Aber ich hoffe, dass ihr eines Tages, wenn ihr alt seid und eure eigenen Kinder zu beschäftigt sind, um anzurufen, euch an mich erinnert – nicht mit Traurigkeit oder Schuld, sondern mit Liebe.

Ich habe Brady gebeten, meinen Gehstock nach Paris mitzunehmen, falls ich nicht mehr lebe. Lächerlich, oder? Der Gehstock eines alten Mannes, der die Welt bereist, ohne ihn. Aber dieser Stock war 20 Jahre lang mein Begleiter. Er hat all meine Geschichten gehört, alle meine Gebete vernommen, all meine Tränen gespürt. Er verdient ein Abenteuer.

Seid gut zu euch selbst. Seid noch gütiger zueinander. Und vergesst nie: Es ist nie zu spät, jemanden anzurufen, den ihr liebt. Solange es noch geht.

In all meiner Liebe,

Euer Dad“

Brady war der letzte, der den Friedhof verließ. Er entschied sich, Arnolds Brief zu behalten, weil er wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihn an seine Kinder zu schicken. Zu Hause fand er Joe – Arnolds alter Tabby – der auf der Veranda saß, als wüsste er genau, wo er hingörte.

„Du bist jetzt meine Familie, Kumpel“, sagte Brady, als er die Katze aufhob. „Arnie würde mich zu Tode peitschen, wenn ich dich allein lassen würde! Du kannst dir eine Ecke meines Bettes schnappen oder fast jeden Platz, an dem du es bequem hast. Aber kein Kratzen an der Ledercouch, abgemacht?!“

Dieser Winter verging langsam, jeder Tag erinnerte an Arnolds leeren Stuhl. Doch als der Frühling zurückkehrte und die Welt in frische Farben tauchte, wusste Brady, dass es Zeit war. Als die Kirschblüten sanft im Morgenwind zu tanzen begannen, bestieg er seinen Flug nach Paris, mit Joe sicher in seiner Transportbox verstaut.

Im Überkopffach ruhte Arnolds Gehstock gegen seinen alten Lederkoffer.

„Du hattest in einer Sache recht, Arnie“, flüsterte Brady, als er zusah, wie die Sonne die Wolken in Goldtönen malte. „Es ist überhaupt nicht lächerlich. Manche Träume brauchen eben andere Beine, um getragen zu werden.“

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