Der ältere Mann in meinem Café bestellte ein Abendessen für zwei, aber niemand kam. Als ich erfuhr, warum, konnte ich nicht einfach wegsehen. Seine große Liebe war vor einem Jahr spurlos verschwunden. Was ich herausfand, veränderte alles.
Der nächtliche Regen trommelte sanft gegen die Fenster des Cafés und verwandelte die Straßenlaternen in goldene Schlieren. Die letzte Stunde vor Ladenschluss war immer die ruhigste.
Ich stand hinter der Theke, als die Tür aufschwang. Die Glocke klingelte leise. Ein älterer Mann trat ein.
Sein Anzug war ordentlich, aber abgetragen. Es war die Art von Kleidung, die einst besonderen Anlässen gehörte, aber mittlerweile ihren Glanz verloren hatte. Er blieb am Fenster stehen und ließ den Blick durch den Raum schweifen, als würde er jemanden erwarten. Ich nahm eine Speisekarte und ging zu ihm.
„Guten Abend, mein Herr. Kann ich Ihnen etwas bringen?“
Er warf kaum einen Blick auf die Karte.
„Ein Abendessen für zwei, bitte. Und falls Sie eine Vase haben, würde ich mich sehr freuen.“
Ich folgte seinem Blick zu dem kleinen Strauß weißer Lilien, den er behutsam auf den Tisch legte.
„Natürlich. Ich bringe gleich eine Vase.“
Ich fand ein hohes Glas, das sich gut eignete. Ich füllte es mit Wasser und arrangierte die Lilien sorgfältig.
Inzwischen waren zwei Teller angekommen, aus denen zarter Dampf aufstieg. Doch er beachtete das Essen nicht. Seine Augen ruhten auf dem leeren Platz ihm gegenüber, während seine Finger langsam den Rand seiner Serviette nachzeichneten.
Minuten vergingen. Das Essen blieb unberührt. Draußen prasselte der Regen weiter. Und doch blieb der Platz gegenüber ihm leer.
Niemand kam. Niemand rief an. Schließlich stellte ich eine Tasse Tee vor ihn.
„Aufs Haus“, sagte ich mit einem kleinen Lächeln. „Möchten Sie noch etwas?“
Zum ersten Mal an diesem Abend sah er mich an.
„Es ist mein Geburtstag. Würden Sie sich zu mir setzen und eine Tasse Tee mit mir trinken?“
„Warten Sie hier“, sagte ich schnell und eilte zur Theke.
In der Kuchenvitrine lag noch ein letztes Stück Schokoladenkuchen. Ich nahm einen kleinen Teller und fand eine alte Schachtel mit Geburtstagskerzen. Ich zündete eine Kerze an und stellte den Teller vor ihn.
„Ein Geburtstag ist kein Geburtstag ohne Kuchen. Wünschen Sie sich etwas.“
Er betrachtete die flackernde Flamme.
„Ich glaube nicht, dass Wünsche so funktionieren, wie wir es uns wünschen.“
„Das heißt nicht, dass man es nicht trotzdem versuchen sollte.“
Er lachte leise, dann beugte er sich vor und blies die Kerze aus. Die kleine Flamme flackerte noch einen Moment, dann verlosch sie. Ich klatschte leise in die Hände.
„Sehen Sie? Gar nicht so schlimm.“
Er betrachtete die erloschene Kerze. „Mein Wunsch… ist schon nicht in Erfüllung gegangen.“
Bevor ich fragen konnte, nahm er einen langsamen Schluck Tee und stellte die Tasse dann ab.
„Ich sollte mich wohl vorstellen“, sagte er schließlich. „Tom.“
„Emma“, erwiderte ich.
„Ihr Name war Susan“, sagte er und zeigte auf den leeren Stuhl.
Und so begann die Geschichte.
Toms Finger zeichneten langsame Kreise auf der Tischplatte, als würden sie ein Muster nachfahren, das nur er sehen konnte.
„Vor etwas mehr als einem Jahr, genau hier in diesem Café, habe ich die Liebe meines Lebens kennengelernt. Ihr Name war Susan. Sie kam immer zu spät“, begann er, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. „Und ich wartete immer. Das war einfach… unsere Art.“
„Sie ließ Sie absichtlich warten?“
Toms Lachen war leise, fast wehmütig.
„Oh nein. Es war nie Absicht. Aber wenn sie sagte, sie wäre um sechs da, wusste ich, dass sie um Viertel nach sechs hereinstürmen würde – außer Atem, sich entschuldigend, und mir von einem neuen Abenteuer erzählend: eine verlorene Geldbörse, ein entlaufener Hund, eine alte Freundin, die sie zufällig getroffen hatte. Es gab immer eine Geschichte.“
Er seufzte und rührte gedankenverloren in seinem Tee. „Und ich liebte jede einzelne davon.“
Ich lächelte bei der Vorstellung. „Sie klingt… wunderbar.“
„Das war sie. Wir waren beide nicht mehr jung, als wir uns trafen. Keine Illusionen, keine Märchen. Es war nicht perfekt, aber es war beständig. Und zum ersten Mal fühlte sich Beständigkeit… sicher an.“
Sein Lächeln verblasste, ersetzt durch etwas Schwereres.
„Vor einem Jahr lud ich sie zu meinem Geburtstag hierher ein. Ich hatte etwas Besonderes geplant.“
Er zögerte, griff in seine Tasche. Als seine Hand wieder auftauchte, hielt sie eine kleine Samtschachtel umklammert.
„Ich wollte ihr einen Antrag machen.“
Ich hielt den Atem an. „Wirklich?“
„Ich saß genau an diesem Tisch. Bestellte ein Abendessen für zwei. Und wartete. Aber… sie kam nie.“
Ich wagte kaum zu atmen, als hätte ich Angst, dass seine Worte etwas Zerbrechliches zwischen uns zerstören könnten. „Was ist passiert?“
„Ich weiß es nicht.“ Sein Griff um die Samtschachtel wurde fester. „Ich habe sie angerufen. Ihr geschrieben. Gesucht. Aber es war, als wäre sie einfach verschwunden. Einen Moment lang gehörte sie mir. Im nächsten… war sie fort.“
Und jetzt?“ fragte ich schließlich.
Er atmete schwer aus. „Jetzt bin ich hergekommen und habe ein Abendessen für zwei bestellt.“
„Haben Sie ein Bild von ihr?“
Er nickte und zog ein abgegriffenes Foto aus seiner Brieftasche. Eine Frau, die in die Kamera lächelte. Augen voller Wärme, voller Schalk, voller Leben. Ich betrachtete ihr Gesicht genau.
„Lassen Sie mich das ein paar Tage behalten“, sagte ich impulsiv. „Kommen Sie am Montag auf einen Kaffee wieder.“
Er hob eine Augenbraue. „Und warum sollte ich das tun?“
„Weil diese Geschichte noch nicht vorbei ist.“
Ich war keine Detektivin. Ich hatte noch nie nach einer vermissten Person gesucht. Aber ich wusste eines – niemand verschwindet einfach so.
Ich begann mit Zeitungen und blätterte durch alte Ausgaben im Lagerraum des Cafés, in dem wir vergessene Zeitschriften für unsere Kunden aufbewahrten. Meine Finger strichen über die vergilbten Seiten, meine Augen huschten über die Schlagzeilen.
Nichts. Keine Unfallberichte, keine Vermisstenanzeigen, nicht einmal eine kleine Erwähnung einer unbekannten Frau.
Also griff ich zu meinem Handy und scrollte durch Gemeinde-Foren und lokale Nachrichtenarchive. Wieder nichts. Es ergab keinen Sinn. Menschen verschwinden nicht einfach spurlos.
Frustration nagte an mir. Ich stöhnte auf und lehnte meine Stirn gegen die Theke.
Denk nach, Emma. Denk nach.
Dann kam mir eine Idee. Krankenhäuser.
Wenn ihr in dieser Nacht etwas zugestoßen war – wenn sie gestürzt war, wenn sie verletzt worden war –, dann hätte man sie ins Krankenhaus gebracht.
Ich schnappte mir mein Handy und rief Sarah an, meine Freundin, die als Krankenschwester arbeitete.
„Emma, es ist ein Uhr morgens“, stöhnte sie.
„Sarah, ich brauche einen Gefallen. Einen großen.“
Es folgte eine Pause. „Oh, das klingt illegal. Erzähl weiter.“
„Ich brauche deine Hilfe, um Krankenhausakten für eine Frau namens Susan Wilson zu durchsuchen. Sie ist vor einem Jahr verschwunden, und ich glaube, sie wurde damals eingeliefert.“
Sarah seufzte. „Dir ist klar, dass Krankenhäuser Vorschriften haben, oder? Ich mag meinen Job.“
„Ich kaufe dir zwei Monate lang jeden Morgen einen Kaffee.“
„Und ein Muffin.“
„Abgemacht.“
Eine halbe Stunde später traf ich sie vor dem Krankenhaus.
„Das ist das Dümmste, in das du mich je hineingezogen hast“, murmelte sie, als wir uns in den Archivraum schlichen, während der schwache Schein ihrer Taschenlampe über die Metallregale flackerte.
„Nicht dümmer als die Sache mit der gestohlenen Katze“, flüsterte ich zurück und durchblätterte Akten.
Minuten vergingen. Der Raum roch nach altem Papier und Desinfektionsmittel. Sarah murmelte etwas darüber, dass sie bald ihre Approbation verlieren würde, aber ich hörte ihr kaum zu.
Dann sah ich es. Eine Akte. Susan. Ich riss sie auf, mein Herz hämmerte.
Eingeliefert in der Nacht ihres Verschwindens. Ohne Ausweis. Schwere Kopfverletzung. Gehirnerschütterung. Teilweise gelähmt. Gedächtnisverlust.
Sarah spähte über meine Schulter. „Na, das erklärt, warum sie nie zurückkam.“
Aber etwas stimmte nicht. Der Nachname. Er war nicht Wilson. Ich blätterte zur nächsten Seite – und erstarrte. Eine Telefonnummer. Unter „Notfallkontakt“.
„Das muss ihre Tochter sein“, flüsterte ich und wählte die Nummer.
Sarah verschränkte die Arme. „Ja, weil es überhaupt nicht verdächtig wirkt, wenn eine Fremde um zwei Uhr nachts anruft.“
Ich ignorierte sie. Das Telefon klingelte. Einmal. Zweimal.
Dann nahm eine müde Stimme ab.
„Hallo?“
„Hallo, ich… es tut mir leid, dass ich so spät anrufe. Mein Name ist Emma. Ich suche nach Susan Wilson. Eigentlich sucht mein Freund nach ihr. Vor einem Jahr ist sie nicht zu ihrem Treffen mit ihm erschienen. Ich habe eine Krankenakte gefunden…“
Schweigen. Ein langes, schweres Schweigen. Dann ein tiefer Seufzer.
„Sie ist meine Mutter“, gab die Frau zu. „Aber… ich weiß nicht, ob sie noch die Frau ist, die Sie suchen.“
„Was meinen Sie?“
„Sie hat in dieser Nacht alles verloren“, sagte sie. „Ihre Erinnerungen. Ihre Vergangenheit. Sogar mich, für eine Weile.“ Ihre Stimme bebte, als hätte sie diese Last viel zu lange getragen. „Aber es gibt eine Sache, die sie nie loslässt. Einen Ort. Einen Namen.“
Ich schloss die Augen und hielt den Atem an.
„Tom.“
Ein zittriges Einatmen. „Ja.“
Es war sie. Ich umklammerte mein Telefon fester.
„Er hat auf sie gewartet.“
„Er hat nie aufgehört, oder?“
„Nein. Er hat nach ihr gesucht. Letzte Nacht, an seinem Geburtstag, kam er ins Café, bestellte ein Abendessen für zwei und wartete.“
Ein tiefer Seufzer.
„Sie würde nicht wollen, dass er ewig wartet.“
„Dann bringen Sie sie her“, flehte ich. „Vielleicht hilft es ihr, dort zu sein. Montag. Das Café am Brunnen. Mittags.“
„Abgemacht. Ich weiß nicht, ob sie ihn erkennen wird. Aber… sie verdient es, den Mann zu sehen, der nie aufgehört hat, auf sie zu warten.“
Ich nickte, obwohl sie mich nicht sehen konnte. Es war drei Uhr morgens. Der Montag war bereits angebrochen.
Tom kam am Montag ins Café, genau wie er es versprochen hatte. Sein Anzug war sorgfältig gebügelt, seine Schuhe glänzten, und in seinen Augen lag eine Hoffnung, die gelernt hatte, mit Enttäuschung zu leben.
„Sie ist hier“, sagte ich leise und deutete auf das Fenster.
Susan saß im Rollstuhl, die Hände im Schoß gefaltet. Sie schien uns erst nicht zu bemerken, ganz in Gedanken versunken.
„Susan“, flüsterte Tom.
Ihre Augen flackerten zu ihm hinüber, musterten sein Gesicht. Eine Pause… Dann lächelte sie. Toms Atem stockte. Er kniete sich vor sie, seine Finger zitterten, als er ihre Hände nahm.
„Tom“, hauchte sie. „Ich liebe dich.“
Tränen rannen über ihre Wangen. Tom atmete zitternd aus, während er ihr Gesicht mit beiden Händen umfasste, als fürchte er, sie könnte wieder verschwinden. „Susan… die ganze Zeit dachte ich…“
„Ich habe dich nie vergessen.“
„Aber… deine Tochter, die Krankenakten… sie sagten…“
Susan ließ ein leises, gebrochenes Lachen hören. „Ich weiß. Ich habe sie glauben lassen, dass ich mein Gedächtnis verloren habe.“
Toms Augen weiteten sich. „Warum?“
„Weil ich nicht wollte, dass du mich so siehst“, flüsterte sie und deutete auf den Rollstuhl.
Tom schüttelte den Kopf und umfasste ihre Hände fester.
„Susan… meine Liebe, hör mir zu. Der Rollstuhl ist mir egal. Alles, was zählt, ist, dass du hier bist. Dass du noch du bist.“
Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, als sie seine Hände umklammerte. Tom griff in seine Tasche. Langsam zog er die kleine Samtschachtel heraus und öffnete sie, um den Ring zu enthüllen, der genauso lange gewartet hatte wie er.
„Heirate mich, Susan. Lass mich für dich sorgen, dich lieben und für den Rest unserer Tage an deiner Seite sein. Ich habe dich einmal verloren… ich werde dich nicht noch einmal verlieren, keinen Moment früher, als es das Schicksal bestimmt.“
„Oh, Tom. Ja…“
Hinter ihnen keuchte ihre Tochter überrascht und hielt sich beide Hände vor den Mund. Sie sah, wie sich ihre Mutter veränderte. Ihre Augen leuchteten voller Liebe.
Tom atmete tief durch, blinzelte gegen die Tränen an. Dann trat er hinter sie, legte sanft die Hände an die Griffe ihres Rollstuhls – und schob sie hinaus, um ihre Lieblingslilien zu kaufen.
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Fertig! 😊 Es ist eine wunderschöne Geschichte – dramatisch, emotional und berührend. Hoffe, die Übersetzung gefällt dir! 🌿💛