Obdachlos und gebrochen nach dem Verlust von allem erfährt Dylan ein schockierendes Geheimnis: Er hat eine dreijährige Tochter, die von seiner Ex-Freundin in einer Pflegeeinrichtung zurückgelassen wurde. Entschlossen, seiner kleinen Tochter das Leben zu geben, das sie verdient, begibt sich Dylan auf eine emotionale Reise der Wiedergutmachung und versucht, zu beweisen, dass er der Vater sein kann, den die kleine Lila braucht.
Dylan saß zusammengesunken auf der Holzbank vor dem Schuhgeschäft „Shoe Emporium“, seine Hände hielten ein Schild mit der Aufschrift: „Ich putze Ihre Schuhe für 1 Dollar.“ Die Frühlingskälte biss durch seinen zerschlissenen Mantel, aber er bemerkte es kaum. Es waren zwei Jahre vergangen, seit sein Leben völlig aus den Fugen geraten war. Zwei Jahre, seit er alles verloren hatte.
Sein Job, sein Zuhause und Tina, die Frau, von der er dachte, er würde sein Leben mit ihr verbringen.
Tinas Abschied war schnell und brutal gewesen.
„Du steckst fest, Dylan“, hatte sie gesagt, ihren Koffer an der Tür. „Und jetzt… Gavin bietet mir ein Leben, das du mir nie geben könntest.“
Das war das letzte Mal, dass er sie gesehen hatte. Zu dem Zeitpunkt, als sie ging, hatte sein Alkoholkonsum bereits begonnen. Tatsächlich geriet er danach außer Kontrolle und riss seine Karriere mit sich.
Kurz nachdem er seinen Job verlor, folgte seine Wohnung, was ihn noch tiefer in den Abgrund zog.
Das Klappern von Designerabsätzen auf dem Bürgersteig riss Dylan in die Gegenwart zurück. Er schaute auf, bereit zu fragen, ob die Person ihre Schuhe putzen lassen wollte. Doch als er sah, wer es war, erstarrte er.
Eine Frau im cremefarbenen Blazer und mit goldenen Armbändern wühlte in ihrer übergroßen Handtasche. Vanessa.
Tinas beste Freundin.
Dylan verschob unruhig seine Position und hoffte, sie würde ihn nicht bemerken. Doch Vanessas scharfer Blick traf ihn wie ein Raubvogel, der seine Beute erspäht. Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich von Überraschung zu Verachtung.
„Dylan?“ Ihre Stimme war voller Spott. „Bist du das wirklich?“
Er konnte sie nicht ignorieren, also nickte er zögerlich.
„Ja. Hi, Vanessa“, sagte er.
„Na, so wie es aussieht, war das Leben nicht gerade freundlich zu dir, oder? Wie tief die Mächtigen gefallen sind.“
Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß und deutete auf sein ungepflegtes Erscheinungsbild.
Ihre Worte stachen, aber Dylan reagierte nicht. Er hatte Schlimmeres gehört.
Vanessa neigte den Kopf, ihre Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Lächeln.
„Hast du es jemals herausgefunden?“ zog sie ihn auf.
„Was herausgefunden?“ fragte Dylan mit gerunzelter Stirn.
Worauf konnte sie nur hinauswollen?
„Ach, hör doch auf“, sie verdrehte die Augen. „Das Kind. Tina hatte ein Kind. Dein Kind. Hat sie dir das nie gesagt?“
Dylans Herz setzte aus. Der Lärm der Straße verstummte, ersetzt durch das Dröhnen seines eigenen Pulsschlags.
„Was hast du gerade gesagt?“
„Oh Gott, Dylan. Wach auf. Komm endlich klar!“
„Bitte, Vanessa, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
Vanessa sah ihn einen Moment an, ihre Augen wurden fast weich. Sie seufzte.
„Tina hat ein Baby bekommen, nachdem sie dich verlassen hat“, sagte Vanessa und betrachtete ihre Maniküre. „Gavin hatte keine Lust, Stiefvater zu spielen. Und als das Kind etwa ein Jahr alt war, hat Tina es in irgendeiner Pflegeeinrichtung abgegeben. Es sind inzwischen, was, zwei Jahre? Nein, warte. Ja… Ich denke, sie müsste jetzt ungefähr drei sein.“
Dylan erhob sich taumelnd.
„Du lügst, Vanessa.“
Vanessa lachte laut auf.
„Warum sollte ich mir so etwas ausdenken? Ich habe Tina letzten Monat auf einer Party gesehen. Sie hat sich regelrecht damit gebrüstet, wie sie ihr Leben ‚in Ordnung gebracht‘ hat. Sie meinte, Gavin würde ihr jeden Moment einen Antrag machen. Sie lebt im Luxus.“
Vanessa lehnte sich näher zu ihm, ihre Stimme triefte vor Herablassung.
„Vielleicht wird es Zeit, dass du deins in Ordnung bringst.“
Bevor Dylan etwas erwidern konnte, war sie bereits davongegangen, ihre Absätze klapperten auf dem Gehweg.
Am nächsten Tag stand Dylan auf der Veranda einer weitläufigen Villa in einer der wohlhabendsten Gegenden der Stadt. Er wusste, wo Tina wohnte, weil er einige Nächte in seinem Auto vor dem Haus verbracht hatte, nachdem sie bei Gavin eingezogen war.
Zumindest bevor ihm das Auto weggenommen worden war.
Seine Faust ballte sich, während er auf die kunstvolle Tür vor sich starrte. Er klopfte zweimal.
Als die Tür aufging, stand Tina dort in Yogahosen und einem Seidentop, ein Glas Weißwein in der Hand. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.
„Dylan?“ keuchte sie. „Was machst du hier?“
„Ich brauche Antworten“, sagte er und trat einen Schritt nach vorn. „Vanessa hat mir von dem Baby erzählt. Unserem Baby.“
Tinas Gesicht wurde blass. Sie trat hinaus und schloss die Tür hinter sich.
„Wer, zum Teufel, glaubt sie, dass sie ist, so ein Gerede in die Welt zu setzen? Nur weil ich sie letzten Monat nicht zu meiner Massage-Party eingeladen habe. Sie ist so verbittert.“
„Tina“, sagte Dylan mit fester Stimme. „Ist es wahr? Habe ich eine Tochter?“
Ihre Schultern sanken, und sie stellte ihr Weinglas auf einen Tisch im Flur.
„Ja, Dylan“, sagte sie. „Es stimmt. Ihr Name ist Lila. Ich habe sie so genannt, weil es eine Figur in einer TV-Show gab, die ich mochte. Sie ist jetzt drei.“
Dylans Brust zog sich zusammen, Wut brodelte unter der Oberfläche.
Wie konnte Tina so beiläufig darüber sprechen?
„Warum hast du es mir nicht gesagt? Warum hast du…“ Er brach ab, schluckte schwer. „Wo ist sie?“
Tina versteifte sich, ging in Verteidigungshaltung.
„Hast du irgendeine Ahnung, wie schwer das war? Ich habe versucht, sie allein großzuziehen, aber Gavin wollte kein Kind im Bild. Und der Gedanke, zu dir zurückzukehren, hat mir Kopfschmerzen gemacht. Ständig. Also hat Gavin mir ein Ultimatum gestellt. Ich habe getan, was ich tun musste.“
„Du hast sie im Stich gelassen!“ spuckte Dylan. „Dein eigenes Kind!“
Tinas Kiefermuskeln spannten sich an.
„Tu nicht so, als wärst du ein Heiliger, Dylan“, sagte sie. „Du warst ein Wrack, als ich dich verlassen habe, hast dich kaum noch an deinem Job als Filialleiter im Supermarkt festgehalten. Ehrlich, glaubst du, du hättest damals für ein Baby sorgen können?“
„Wo ist sie?“ forderte er.
Tina zögerte.
„Sie ist im Sunnyside Care Center. Es ist in der Innenstadt. Aber schau, sie ist vielleicht gar nicht mehr da. Vielleicht hat sie eine Familie aufgenommen, adoptiert, und sie lebt das Leben. Ich habe einen klaren Schnitt verlangt, damit sie mich nicht kontaktieren können.“
Dylans Hände zitterten. Wie konnte jemand so kalt sein?
„Ich brauche Beweise, Tina. Etwas, das zeigt, dass ich ihr Vater bin.“
Tina schnaubte.
„Um was zu tun? Aber gut, warte hier. Ich habe dich auf ihre Geburtsurkunde setzen lassen.“
Sie verschwand in einem der Flure und kam mit einem gefalteten Stück Papier zurück.
„Hier ist ihre Geburtsurkunde. Und jetzt lass mich in Ruhe, Dylan. Du verschwendest deine Zeit. Selbst wenn sie dort ist, werden sie sie niemals an jemanden wie dich herausgeben.“
Dylan betrat das Pflegezentrum, die Geburtsurkunde fest in seinen zitternden Händen. Am Empfang begrüßte ihn eine freundliche Frau mittleren Alters mit Namensschild „Sheila“.
„Ich würde gern meine Tochter sehen“, sagte er und reichte ihr das Dokument. „Oder zumindest wissen, ob sie hier ist.“
Sheila betrachtete das Papier, bevor sie lächelnd nickte.
„Lila! Oh, Lila ist ein wundervolles kleines Mädchen. Eine Künstlerin, sage ich Ihnen. Ihre Hände sind ständig voller Farbe.“
„Also sagen Sie, dass mein Kind tatsächlich hier ist?“ fragte er, die Erleichterung hörbar in seiner Stimme.
„Ja, sie ist hier“, sagte Sheila und strahlte. „Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihr.“
Sie führte ihn in einen hellen Spielraum. Dort, an einem kleinen Tisch, saß ein Mädchen mit kastanienbraunen Locken und großen braunen Augen. Sie malte konzentriert mit einem Buntstift in der Hand.
Dylan blieb wie angewurzelt stehen, sein Atem stockte.
„Das ist sie?“ flüsterte er.
Sheila nickte.
„Das ist unsere Lila“, sagte sie sanft. „Wir haben so viele Kämpfe geführt, um ein Zuhause für sie zu finden. Die Leute verlieben sich in sie, aber am Ende haben sie Schwierigkeiten, sich zu entscheiden.“
„Das liegt daran, dass sie nicht zu ihnen gehört“, murmelte er.
Mit schweren Schritten näherte er sich dem Tisch. Lila blickte von ihrem Malbuch auf, ihre Augen trafen seine. Sie lächelte nicht, aber in ihrem Blick lag eine neugierige Wärme.
„Sie ist wunderschön“, sagte Dylan leise.
Sheila räusperte sich und bedeutete ihm, ihr in eine kleine Sitzecke zu folgen.
„Ich brauche, dass Sie mir alles erzählen“, begann sie. „Ich muss die ganze Situation verstehen. Alles, was ich weiß, ist, dass ihre Mutter sie aufgegeben hat.“
Dylan setzte sich und begann, alles zu schildern, was er über Lila und Tina erfahren hatte.
Sheila hörte aufmerksam zu und nickte nachdenklich.
„Ich muss ehrlich mit Ihnen sein, Dylan. Das Sorgerecht zu bekommen wird nicht einfach sein. Sie brauchen eine feste Wohnung, ein stabiles Einkommen und die Zustimmung des Gerichts. Außerdem müssen Sie eine Beziehung zu Lila aufbauen, während sie noch hier ist. Der Richter wird sehen wollen, wie Sie mit ihr interagieren. Es wird ein Sozialarbeiter zugewiesen, der alles dokumentiert und Ihnen hoffentlich das Beste ermöglicht.“
Dylan nickte entschlossen.
„Ich verstehe, und ich bin froh, dass der Prozess so gründlich ist. Aber ich will, dass Sie wissen: Ich werde alles tun, was nötig ist, Ma’am. Dieses Kind verdient Besseres. Sie verdient die ganze Welt.“
„Ich glaube Ihnen“, sagte Sheila mit einem warmen Lächeln. „Aber Sie müssen kämpfen, Dylan. Wenn Sie das wirklich wollen, dann müssen Sie es durchziehen.“
Die nächsten Wochen waren für Dylan eine Qual voller Rückschläge und Frustration.
Er suchte verzweifelt nach Arbeit und bewarb sich in jedem Geschäft, das er finden konnte. Doch die meisten Manager schüttelten nur den Kopf, einige lachten ihn sogar aus.
Am Abend begann er, die Straßen vor den Geschäften zu fegen, in der Hoffnung, dass jemand seine Anstrengungen bemerken würde.
Eines Abends beobachtete ihn der Besitzer eines kleinen Bodegas.
„Sie sind jede Nacht hier“, sagte der Mann. „Warum?“
Dylan legte seinen Besen zur Seite.
„Ich war früher Filialleiter. Ich habe alles verloren, nachdem meine Freundin mich verlassen hat. Jetzt versuche ich, meine Tochter aus dem Pflegeheim zu holen.“
Der alte Mann betrachtete ihn eine Weile schweigend.
„Kommen Sie rein“, sagte er schließlich. „Ich muss bald die Kasse machen, aber ich habe ein paar Sandwiches aus der Delikatessentheke übrig. Lassen Sie uns essen und reden.“
Dylan arbeitete für Monate als Reinigungskraft im Bodega, schrubbte Böden und schleppte Kisten. Mit der Zeit gewann er das Vertrauen des Besitzers, Herrn Diego.
Eines Nachmittags, als er das Lager neu organisierte, fiel Dylan auf, dass einige Abläufe ineffizient waren. Zögernd teilte er Herrn Diego seine Ideen mit. Zu seiner Überraschung hörte der Mann zu und setzte einige Vorschläge um.
„Sie haben einen klugen Kopf auf den Schultern“, sagte Herr Diego anerkennend. „Mal sehen, wie weit Sie es bringen können.“
Eines Tages fand Dylan eine Brieftasche auf dem Boden des Ladens. Sie war dick und prall gefüllt mit Geldscheinen. Ohne zu zögern brachte er sie zu Herrn Diego.
„Ich habe sie dort hingelegt“, lächelte der alte Mann. „Das war ein Test, Dylan. Wie wäre es, wenn Sie diesen Laden leiten?“
Dylan konnte seinen Ohren kaum trauen. Mit harter Arbeit und Ehrlichkeit hatte er sich eine neue Chance verdient.
Sechs Monate später zog er in eine bescheidene Einzimmerwohnung, die er mit seinen Ersparnissen bezahlen konnte. Es war kein Palast, aber es war sauber, warm und vor allem ein Zuhause. Er verwandelte eine kleine Ecke in ein buntes Kinderzimmer für Lila, versprach sich selbst, dass sie bald etwas Besseres haben würden.
Als er zum Pflegezentrum zurückkehrte, wurde er von Sheila mit einem strahlenden Lächeln begrüßt.
„Sie haben alles getan, worum wir Sie gebeten haben, Dylan“, sagte sie. „Lilas Sozialarbeiterin hat die Übertragung des Sorgerechts genehmigt.“
Augenblicklich füllten sich seine Augen mit Tränen. Er konnte es kaum glauben.
Ein paar Minuten später kam Lila mit ihrem Stoffhasen in den Raum. Sie zögerte, ihre großen Augen waren neugierig, aber vorsichtig.
„Hi, Daddy“, sagte sie leise. „Was machen wir heute bei unserem Besuch?“
Dylan kniete sich hin und nahm sanft ihre kleine Hand.
„Baby, wir gehen nach Hause.“
—
**Zwei Jahre später**
Dylan stand hinter der Theke seines eigenen Ladens. Nach seiner Pensionierung hatte Herr Diego ihm den Laden auf Kredit verkauft, überzeugt, dass Dylan ihn erfolgreich weiterführen würde.
Lila, inzwischen fünf Jahre alt, saß hinter der Theke und malte fröhlich Bilder von Regenbögen und Sonnenstrahlen. Dylan warf einen Blick auf sie, sein Herz erfüllt von Stolz und Dankbarkeit.
Das Leben war nicht perfekt, aber es gehörte ihnen.
Zum ersten Mal seit Jahren fühlte Dylan sich wieder ganz.