Jessica kauft das Haus ihrer Träume, ohne zu wissen, dass in seinen Wänden Briefe versteckt sind, die ihr Leben verändern werden. Diese Briefe erzählen die Geschichte ihrer verschwundenen Schwester Meredith, die Jessica seit elf Jahren nicht mehr gesehen hat. Verzweifelt bemüht, die Verbindung wiederherzustellen, begibt sich Jessica auf eine Reise, in der Hoffnung auf einen Neuanfang.
Jessica stand in der Mitte ihres neuen Wohnzimmers, umgeben von Stapeln von Kisten und zusammengewürfelten Möbeln. Die Umzugshelfer hatten ihren Job erledigt, aber das Haus fühlte sich leer und chaotisch an. Sie atmete tief durch und spürte einen Anflug von Stolz.
Das war ihr Haus, mit ihrem eigenen Geld gekauft. Zum ersten Mal hatte sie etwas ganz allein geschafft, ohne auf ihre Eltern angewiesen zu sein.
Ihre Eltern, Ashley und Scott, waren wohlhabend und hatten immer Druck auf sie und ihre jüngere Schwester Meredith ausgeübt, „ihrem Status gerecht zu werden“.
Während ihrer Kindheit und Teenagerjahre durften sie nur mit Kindern aus anderen wohlhabenden Familien verkehren. Jessica hatte sich immer durch diese Regeln eingeschränkt gefühlt, aber sie hatte sie befolgt. Meredith war anders.
Meredith verabscheute den Reichtum ihrer Eltern und die damit verbundenen Einschränkungen. Sie erkannte das Geld nie an und bestand darauf, dass es das ihrer Eltern sei, nicht ihres. Sie rebellierte ständig gegen ihre Regeln und Erwartungen.
Als sie 17 war, rannte sie mit einem Jungen aus einer armen Familie weg, einer Beziehung, die ihre Eltern vehement abgelehnt hatten. Das war vor sechzehn Jahren, und Jessica hatte seitdem nichts mehr von ihr gehört.
Jessica war anders als ihre Schwester; sie hatte nie gegen ihre Eltern rebelliert. Aber der Kauf dieses Hauses war ihr erster Akt des Widerstands.
Sie hatte ihr Geld für den Kauf abgelehnt und wollte, dass sie wussten, dass es ihres und nur ihres war. Das Haus war klein, aber es war ihr eigenes.
Sie öffnete eine der Kisten und zog ein Foto von sich und Meredith als Kinder heraus. Sie lächelten, die Arme umeinander geschlungen.
Jessica spürte einen Stich, dass Meredith nie versucht hatte, sie zu kontaktieren. Sie vermisste ihre Schwester und liebte sie trotz der Jahre des Schweigens immer noch zutiefst. Sie seufzte schwer und beschloss, mit dem Putzen zu beginnen. Sie wollte dieses Haus wie ein Zuhause wirken lassen.
Nachdem sie das Schlafzimmer aufgeräumt hatte, ging sie ins Badezimmer. Als sie das Waschbecken schrubbte, bemerkte sie einen kleinen Riss in der Wand. Verärgert dachte sie, dass die Arbeiter schlechte Arbeit geleistet hätten.
Neugierig leuchtete sie in den Riss und sah etwas darin. Ihre Finger zitterten, als sie hineingriff und mehrere Briefe herauszog.
Sie hielt sie in den Händen und fühlte eine Mischung aus Neugier und Unbehagen. Sie brachte sie in die Küche, ihr Herz klopfte heftig.
Jessica setzte sich an den Tisch, die fünf Briefe vor sich ausgebreitet. Die Handschrift war ordentlich und elegant, mit einer weiblichen Note in jeder Schleife und Kurve. Neugierig öffnete sie den ersten Brief.
„Liebe Freundin,
willkommen in Ihrem neuen Zuhause! Mein Mann Diego hat dieses Haus mit seinen eigenen Händen gebaut. Wir sind erst vor einem Jahr eingezogen, voller Aufregung und Hoffnung. Wir haben uns über die Farben der Wände und die Platzierung der Möbel gestritten, aber das war alles Teil der Freude, dieses Haus zu unserem eigenen zu machen. Ich hoffe, Sie finden hier so viel Glück, wie wir es gefunden haben.
Beste Wünsche, M.“
Jessica spürte eine seltsame Wärme in ihrer Brust, als sie die Worte las. Sie konnte fast die frisch Verheirateten sehen, wie sie lachten und stritten, während sie das Haus zu ihrem Zuhause machten. Sie öffnete den zweiten Brief.
„Liebe Freundin,
es ist ein weiteres Jahr in unserem geliebten Zuhause vergangen. Diego und ich versuchen, eine Familie zu gründen. Wir haben sogar ein Kinderzimmer eingerichtet, die Wände in einem sanften Gelb gestrichen. Aber bisher hat nichts funktioniert. Es war hart, aber wir stärken uns gegenseitig. Ich hoffe, dass Ihre Träume hier in Erfüllung gehen, so wie wir immer noch hoffen, dass unsere es tun.
Mit Hoffnung, M.“
Jessica füllten sich die Augen mit Tränen. Sie konnte den Schmerz und das Verlangen in Merediths Worten spüren. Sie atmete tief durch und öffnete den dritten Brief.
„Liebe Freundin,
wir haben beschlossen, nach einem weiteren herzzerreißenden Verlust nicht weiter zu versuchen, ein Baby zu bekommen. Die Stille im Kinderzimmer war zu viel zu ertragen. Um die Leere zu füllen, haben wir einen Hund adoptiert. Sie heißt Bella und hat so viel Freude und Trost in unser Leben gebracht. Ich hoffe, dieses Haus bringt Ihnen so viel Trost, wie Bella uns gebracht hat.
Herzlich, M.“
Jessica wischte sich die Tränen, die über ihr Gesicht strömten. Der Schmerz und die Widerstandskraft im Brief berührten sie tief. Mit zitternden Händen öffnete sie den vierten Brief.
„Liebe Freundin,
ich habe wunderbare Neuigkeiten! Ich bin im achten Monat schwanger. Nach so viel Herzschmerz wird unser Traum endlich wahr. Wir können es kaum erwarten, unseren kleinen Jungen in dieses Haus voller Liebe und Erinnerungen zu bringen. Ich hoffe, Sie finden hier Ihr eigenes Glück und Erfüllung.
Mit Freude, M.“
Jessica lächelte durch ihre Tränen, spürte eine überwältigende Freude für sie. Sie öffnete den letzten Brief.
„Liebe Freundin,
unsere Zeit in diesem Haus ist zu Ende. Wir ziehen um, um näher am Meer zu sein, wegen der Gesundheit unseres Sohnes. Dieses Haus hat unsere Freuden, unseren Kummer und unsere Träume wahr werden sehen. Ich wünsche Ihnen ein Leben voller Liebe und Glück hier.
Mit Liebe und Fürsorge, von Meredith der Meerjungfrau.“
Jessicas Hände zitterten und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Meredith hatte sich als Kind „die Meerjungfrau“ genannt.
Ihr wurde klar, dass sie das Haus gekauft hatte, das der Mann ihrer Schwester gebaut hatte. Es war, als hätte das Schicksal sie dorthin geführt.
Sie lehnte sich zurück, überwältigt von der Erkenntnis. Sie hatte so lange auf irgendeine Verbindung zu Meredith gewartet, und jetzt, durch eine seltsame Wendung des Schicksals, hatte sie sie gefunden. Sie beschloss, dass es ein Zeichen war, dass sie ihre Schwester finden und ihre Beziehung wieder aufbauen musste.
Sie wählte nervös die Nummer der Maklerin Sarah und vereinbarte ein Treffen in einem nahegelegenen Café. Sarah sagte, sie könne in einer Stunde dort sein. Jessica legte auf, ihr Geist war eine Mischung aus Hoffnung und Angst.
Sie nahm sich Zeit, sich fertig zu machen und versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. Während sie sich die Haare kämmte und ein Outfit auswählte, konnte sie nicht aufhören, an ihre Schwester und die Briefe zu denken.
Als sie im Café ankam, sah sie Sarah bereits an einem Ecktisch sitzen. Jessica atmete tief durch und ging hinüber, ihr Herz pochte. Sarah schaute auf und lächelte herzlich.
„Hallo, Jessica. Wie geht es Ihnen?“ fragte Sarah und deutete auf einen Platz.
„Hallo, Sarah. Danke, dass Sie sich mit mir treffen,“ antwortete Jessica.
„Möchten Sie einen Kaffee?“ fragte Sarah, als Jessica sich setzte.
„Nein, danke,“ sagte Jessica und schüttelte den Kopf. „Ich bin zu alt, um abends Kaffee zu trinken. Er hält mich die ganze Nacht wach.“
Sarah lachte leise. „Das verstehe ich. Also, worüber wollten Sie sprechen? Gibt es ein Problem mit dem Haus?“
Jessica zögerte und schaute auf ihre Hände. „Nein, nein. Das Haus ist perfekt. Es ist nur…“
„Nur was?“ fragte Sarah, mit einem besorgten Blick nach vorne gebeugt.
Jessica atmete tief durch. „Ich habe einige Briefe gefunden, die der Vorbesitzer hinterlassen hat. Sie beschreiben ihr Leben in dem Haus.“
„Das ist interessant. Ich habe von Leuten gehört, die so etwas tun, aber es selbst nie erlebt,“ sagte Sarah, neugierig geworden.
„Ja,“ fuhr Jessica fort, ihre Stimme zitterte. „Aber das Ding ist, ich glaube, diese Briefe sind von meiner Schwester. Sie ist vor elf Jahren verschwunden.“
Sarahs Augen weiteten sich überrascht. „Oh… ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
Jessica lehnte sich vor, Verzweiflung in ihren Augen. „Haben Sie ihre Kontaktdaten oder irgendwelche Details über sie?“
Sarah sah unsicher aus. „Ich weiß, dass sie in einen anderen Staat gezogen sind, weil ihr Sohn Asthma hat. Ihnen wurde geraten, näher ans Meer zu ziehen.“
Jessicas Herz raste. „Was ist mit Telefonnummern?“
Sarah biss sich auf die Lippe. „Normalerweise gebe ich keine solchen Informationen über Kunden heraus.“
„Bitte, Sarah. Sie könnte meine Schwester sein,“ flehte Jessica, ihre Stimme brach.
Sarah zögerte, offensichtlich hin- und hergerissen. „Es ist trotzdem…“
Jessica unterbrach, ihre Stimme dringend. „Ich habe sie seit elf Jahren nicht mehr gesehen. Wenn es diese Briefe nicht gäbe, wüsste ich nicht einmal, dass sie verheiratet ist und einen Sohn hat.“
Sarah seuf
zte und sah konfliktgeladen aus. „Aber Jessica—“
„Bitte, Sarah,“ bettelte Jessica. „Ich tue alles, bezahle Sie alles. Ich will nur meine Schwester wiedersehen.“
Sarah sah Jessica in die Augen und erkannte die Aufrichtigkeit und Verzweiflung. „In Ordnung,“ sagte sie leise. „Aber Sie dürfen niemandem sagen, woher Sie ihre Kontakte haben.“
Jessicas Gesicht strahlte vor Erleichterung. „Ich verspreche es.“
Sarah schrieb Meredith und die Kontaktdaten ihres Mannes auf und gab sie Jessica. Jessica sah auf das Stück Papier und fühlte eine Mischung aus Aufregung und Angst.
„Danke, Sarah,“ sagte Jessica, ihre Stimme voller Dankbarkeit.
„Gern geschehen. Ich hoffe, Sie finden sie,“ antwortete Sarah mit einem warmen Lächeln.
Sie plauderten noch ein wenig über die Nachbarschaft und die lokalen Geschäfte, aber Jessicas Gedanken waren woanders. Sie plante bereits ihre nächsten Schritte.
Nachdem sie das Café verlassen hatte, eilte Jessica nach Hause. Sie setzte sich an ihren Computer, ihr Herz raste, und buchte sofort einen Flug in die Stadt, in der Meredith lebte. Sie spürte einen Anflug von Entschlossenheit.
Das war ihre Chance, sich mit ihrer Schwester wieder zu verbinden, und sie wollte sie nicht verschwenden. Während sie ihre Tasche packte, konnte sie nicht aufhören, sich zu fragen, wie Meredith nach all den Jahren sein würde.
Am nächsten Tag flog Jessica in einen anderen Staat, um Meredith zu finden. Ihr Magen drehte sich vor Nervosität während des gesamten Fluges. Sobald sie landete, nutzte sie die Kontakte, die Sarah ihr gegeben hatte, um Merediths Adresse zu finden. Sie nahm ein Taxi zur Adresse, ihr Herz schlug mit jeder Minute heftiger.
Als das Taxi vor dem Haus anhielt, atmete Jessica tief durch und stieg aus. Sie ging zur Tür, ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an. Mit all ihrem Mut klopfte sie an die Tür.
Momente später öffnete sich die Tür, und dort stand Meredith. Sie sah nicht mehr aus wie die Teenagerin, an die sich Jessica erinnerte. Sie hielt einen kleinen Jungen, der genauso aussah wie sie.
Merediths Augen weiteten sich vor Schock, als sie Jessica anstarrte, ihr Mund leicht vor Überraschung geöffnet.
„Hallo, Meredith,“ sagte Jessica leise.
Meredith sah einen Moment lang wie erstarrt aus. Dann setzte sie ihren Sohn ab und umarmte Jessica fest.
„Ich kann nicht glauben, dass du hier bist,“ flüsterte Meredith, ihre Stimme voller Emotionen.
„Ich auch nicht,“ sagte Jessica, Tränen strömten über ihr Gesicht.
Meredith ließ sie los, nahm ihren Sohn wieder hoch und lud Jessica ein, hereinzukommen. Das Haus war warm und gemütlich, mit Spielzeug auf dem Boden verstreut. Sie setzten sich ins Wohnzimmer, während der kleine Junge mit seinen Autos und Bausteinen spielte.
„Wie hast du mich gefunden?“ fragte Meredith, ihre Augen voller Neugier.
Jessica atmete tief durch. „Ich habe dein altes Haus gekauft. Ich habe die Briefe gefunden, die du hinterlassen hast.“
Merediths Augen weiteten sich. „Ich hätte nicht gedacht, dass jemand die so schnell findet.“
„Warum hast du sie überhaupt geschrieben?“ fragte Jessica.
„Wir wussten, dass wir nicht für immer in diesem Haus leben würden; wir lieben es zu reisen. Ich dachte, es wäre interessant, ein Stück von uns in jedem Haus zu hinterlassen, in dem wir leben,“ antwortete Meredith.
Jessica nickte. „Warum hast du all die Jahre nicht versucht, mich zu kontaktieren?“ fragte sie, ihre Stimme weich, aber voller Schmerz.
Meredith seufzte und schaute nach unten. „Es lag an Mom und Dad. Du warst ihnen immer nahe, und ich wollte sie nicht in meinem Leben haben. Sie haben Diego nie akzeptiert, und ich musste meine eigene Familie fernab von ihrem Einfluss aufbauen.“
Jessica fühlte einen Stich des Bedauerns. „Ich rede jetzt kaum noch mit ihnen. Ich bereue es, dass ich all diese Zeit nicht die Chance hatte, mit dir zu sprechen.“
Meredith schaute auf, ihre Augen wurden weicher. „Ich fühlte mich genauso. Aber sie waren so gegen meine Beziehung zu Diego. Und jetzt sind wir verheiratet und haben diesen wunderbaren Sohn. Ich würde nichts ändern, selbst wenn ich könnte.“
Jessicas Augen füllten sich mit Tränen. „Es tut mir so leid, dass ich nicht da war, als du dein Baby verloren hast. Ich hätte für dich da sein sollen.“
Merediths Gesicht wurde mit einem traurigen Lächeln weicher. „Ich habe deine Unterstützung in dieser Zeit vermisst. Es war schwer, aber wir haben es überstanden.“
Sie saßen eine Weile schweigend da, das Gewicht der Vergangenheit um sie herum. Dann brach Meredith das Schweigen. „Aber jetzt hast du die Chance, ein Teil des Lebens deines Neffen zu sein. Er könnte eine coole Tante gebrauchen.“
Jessica lächelte durch ihre Tränen und umarmte Meredith fest. „Ich habe dich so vermisst,“ sagte sie, ihre Stimme voller Emotionen erstickt.
„Ich habe dich auch so sehr vermisst,“ antwortete Meredith und umarmte ihre Schwester mit gleicher Intensität zurück.